Eindrücke von der Atlantic Rally for Cruisers 2006 mit der Lotta

von SuCIMG1279.JPGsanne P.


Der Startschuss für unsere Atlantik-Überquerung im Rahmen der Regatta „Atlantik Rally for Cruisers“ fiel am 26. November 2006 vor Gran Canaria. Bei drei Beaufort machen wir uns mit der „Lotta“ (Luffe 48) auf den Weg nach St. Lucia (Karibik). 2800 Seemeilen liegen vor uns. An Bord sind wir fünf Männer und eine Frau, meine Wenigkeit.

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Atlantik ahoi!

Wahnsinnig hohe Wellen, unendlich viel Wasser und fliegende Fische: Das sind die drei Dinge, die den meisten Leuten sofort zum Thema Atlantik-Überquerung einfallen.

Und wenn ich vor unserer Atlantik-Überquerung irgendwem von meinen Plänen IMG_8792.JPG erzählt habe, kam fast immer die Frage: „Hast Du keine Angst?“ Meine Antwort damals: „Nein“ - und das sage ich nach dem Törn immer noch! Ich hatte keine Minute Angst. Nur meine Mutter hatte schlaflose Nächte.

Aber die Wellen waren schon wahnsinnig hoch! Im „Buchungstext“ für die Reise stand auch nicht, dass Wellenreiten Spaß ohne Ende macht.

Wellenreiten ist definitiv das Beste!

Mit einer Spitzengeschwindigkeit von 18,88 Knoten rauscht „Lotta“ die Welle runter - und das ohne Spinnaker, nur mit ausgebaumten Vorsegel:

Das Gefühl ist irre! Es ist mitten in der Nacht (2. Dezember). Ich steh am Rohr und spür die Kräfte, die hier wirken. Erstens die Mega-Welle, zweitens der Wind (schwankend zwischen 25 und 30 Knoten True W IMG_8854.JPG ind-Speed).

Die Welle packt uns, nimmt uns mit, schiebt uns voran ins Tal hinein. Die Welle runter zu rauschen, ist wie ein Film, der nicht zu stoppen ist. In einem abhebenden Flugzeug, spürt man die Kraft, die einen in den Sitz presst – nur dass sie uns in diesem Fall nicht nach oben versetzt, sondern es geht per Gleitfahrt ins Wellental hinein. Ich lenke „Lotta“ und habe dabei trotzdem eher das Gefühl mitgerissen zu werden. Meine Kraft ist hier nur minimal – aber dennoch notwendig, damit es nicht gewaltig um uns geschieht.   IMG_2274.JPG

Die Nacht ist stockdunkel, da es bewölkt ist. Gut, dass wir keinem Containerschiff ausweichen müssen. Bei der Fahrt in die Dunkelheit hinein, muss ich nur versuchen, irgendwie Welle und Wind zu händeln. Keine Welle ist wie die andere, auch wenn alle schön lang sind. Und der Wind pfeift auch nicht konstant aus dem gleichen Winkel. Ich konzentriere mich und passe auf.

Ab und zu dreh ich mich kurz nach hinten um. Ich kann den Blick nach hinten nicht lassen – ein Riesenwellenberg steht senkrecht hinter mir! Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um oben die Kante zwischen Himmel und Wasser zu sehen. Die Wasserwand scheint vom Heck aus zum Greifen nah – man müsste nur den Arm ausstrecken. Der Anblick ist faszinierend, aber auch bedrohlich. Ich fühl ein Monster im Nacken.

Am schönsten ist es oben auf einem Wellenberg, die Aussicht auf den nächsten perfekten Surf; dann der Moment, in dem es den Berg runter geht: die Welle reißt uns mit und „Lotta“ läuft und läuft – „ich liebe dich du Luder“! IMG_2293.JPG

Wellenreiten ist aber nach einer Weile ganz schön anstrengend. Dann bin ich froh, dass wir zu sechst über den Atlantik segeln. Mein Wach-Partner Rolf übernimmt, ich setz im Heckkorb und genieß das Spektakel. Die stockdunklen Nächte mit den Wahnsinn-Wellen vermitteln mir eine leise Ahnung von dem, was Solo-Segler leisten. Respekt hatte ich vor Ellen MacArthur oder den Velux5Oceans-Jungs schon immer - aber jetzt erst recht. Denn abgesehen vom Rudergehen gibt jede Menge andere Dinge an Bord zu tun. Wie gut, dass wir zu sechst sind. Und ich frage mich, wie verrückt man sein muss, um alleine durch den Southern Ocean zu segeln? Zudem würde ich meine fünf Jungs vermissen - denn ohne die wäre es an Bord der „Lotta“ garantiert ziemlich öde - auch wenn wir mehr als alle Hände voll zu tun haben.

„Unendlich“ viel Wasser,  „unendlich“ viel Zeit

„Kriegt man eigentlich keinen Wasser-Koller“, will meine Mutter (Nicht-Seglerin) immer wieder von mir wissen. „Nein“. Das Gute am Atlantik ist, dass dieser „Tümpel“ verdammt lange nicht endet. Endlich kann man mal verdammt lange Zeit einfach nur segeln - kein Handy, keine Zivilisation, kein gar nix. Nur wir, die „Lotta“ und die Wellen. Und das Gefühl irgendwie in „the middle of nowhere“ zu sein. In drei Nächten sehen wir nachts die Lichter anderer Schiffe - ansonsten sind wir allein. Einmal tagsüber ist querab ein anderes deutsches Schiff in Sichtweite - ansonsten nix. IMG_8780.JPG

Ich verliere das Gefühl für die Wochentage und lebe von Tag zu Tag: Nur die Anzeige mit den verbleibenden Seemeilen bis nach St. Lucia und der Blick auf den Navi-Computer macht mir hin und wieder deutlich, dass der Spaß hier doch leider endlich ist. Es gibt allerdings auch Crew-Mitglieder, die ein wenig St. Lucia entgegenfiebern, umso näher wir der Insel kommen. Aber für mich hätte es ewig so weitergehen können.

Und langweilig war mir nie. Ich bin noch nicht mal dazu gekommen, ein Buch zu lesen! Irgendwie hatten wir immer was zu tun: rudergehen, Vorsegel wechseln, halsen, alles kontrollieren, Rolf in den Mast hoch ziehen, kochen, gemeinsam frühstücken und Hauptmahlzeiten einnehmen, Reparaturen vornehmen, Brötchen backen, sonnenbaden, duschen ...

Und wie schreibt Ralf so schön in unserem Internet-Logbuch über unsere Pütz-Duschgänge mit Seewasser bei viel Welle: „Die ganze Prozedur dauert für eine kompletten Crewdurchgang meist eine gute Stunde und anschließend riecht es auf der Lotta wieder wohltuend sauber. Frisch gestylte Segler sind bereit, sich den nächsten Herausforderungen der Atlantiküberquerung zu stellen." Also fragt mich nicht, wie die Zeit verrinnt.

Fliegende Fische

Bereits vier Tage nach dem Auslaufen haben wir den ersten blinden Passagier, einen fliegenden Fisch, an Bord. Es ist mitten in der Nacht. Alle Crewmitglieder sind plötzlich wach und wollen den Winzling mit den Flügeln sehen. Ich weiß nicht mehr, wer den Fisch in den Wasser-Eimer gepackt hat. Ich bin nur froh, dass ich es nicht tun musste - denn wir alle finden, dass fliegende Fische erbärmlich stinken.

Der erste fliegende Fisch ist eine Sensation! Aber danach war es für mich nur eine Plage! Denn ich wurde ziemlich oft von fliegenden Fischen geküßt. Bringt das eigentlich Glück?

In einer Nacht besuchten uns drei fliegende Fische kurz hintereinander als ich am Ruder war. Rolf stand unter Deck in der Küche und backte Brötchen. Ich rief ihn, um die Fische einzusammeln. Mit dem Ösfaß transportierte Rolf zwei Fische über Bord! Nur wo war der dritte? Irgendwann fand Rolf auch den. Er war im Schwalbennest gelandet. Nicht auszudenken, wie wohl ein fliegender Fisch im Schwalbennest bei tropischen Temperaturen nach einer Weile stinkt. Die Nacht mit den drei fliegenden Fischen war auch die Nacht der Sternschnuppen: Unglaublich, wie viele Sternschnuppen ich gesehen habe. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Erstens glaubt mir das eh keiner. Zweitens wusste ich nach einer Weile nicht mehr, was ich mir noch wünschen sollte. Ich war einfach nur wunschlos glücklich auf dem Atlantik.

Essen

Das Essen ist ein absolutes „Highlight“ auf See, weil man durch den Seegang einen höheren Energiebedarf hat und körperlich arbeitet - das hatte man uns zuvor auf Gran Canaria bei den Regatta-Vorbereitungsseminaren erzählt. Und definitiv - es ist so. Ich erinnere mich gut an einen Tag, an dem wir ein paar Dinge an Bord repariert haben. Zum Beispiel eine gebrochene Segellatte im Groß - natürlich ganz oben. Wir hatten ganz gut Wind und Welle. Als wir damit fertig waren (inklusive Halse), war das Beste das Essen. Etwas, auf das sich alle freuten.

Wir „mussten“ unterwegs ziemlich viel essen. Meistens hatten wir auch alle ziemlich großen Appetit. Abgesehen von Ralf, der normalerweise laut eigenen Angaben ein „Vielfraß“ ist, der aber auf See so gut wie nichts gegessen hat (Diät!). Wenn ich sage, wir mussten ziemlich viel Essen, dann lag das daran, dass wir unsere Vorräte aufbrauchen wollten. Nach einer Weile auf See (4-5 Tage) war uns ziemlich klar, dass wir viel zu viel Proviant haben. Von vornherein hatte sich die komplette Crew gegen Trockennnahrung entschieden: Auf Gran Canaria einkaufen und selber kochen hieß die Devise. Nur dass wir viel zu viel eingekauft hatten. „Aber besser zu viel als zu wenig“, so der O-Ton eines Crew-MitgliDSC00004.JPGeds. Bei der Ankunft auf St. Lucia hatten wir jedenfalls noch: 16 Tüten Gummi-Bären, stapelweise Schokolade, 2 kg Reis und eine Backskiste mit Konserven.

Zwar haben wir - Ralf und meine Wenigkeit – vor dem Einkauf alles mengenmäßig berechnet. Doch beim Einkauf muss uns wohl der Teufel geritten haben. War es die Vorstellung, unterwegs zu verhungern, die uns dazu trieb, vielleicht doch ein wenig mehr in die Einkaufswagen zu packen? Wir wissen es nicht. Das Einkaufen selber war ziemlich unübersichtlich. Zwar hakten wir auf einer Liste alle eingepackten Waren ab. Aber Zweifel, ob das alles reicht, blieben. Zumal Nudeln und Reis unter den vielen anderen Waren in den Einkaufswagen nicht mehr zu sehen waren, da wir diese zuerst einpackt haben.

Der Einkauf in einem spanischen Supermarkt auf Gran Canaria war für mich die Hölle. Eingeplant hatten wir dafür circa zwei Stunden. Daraus wurden aber sechs Stunden. Wir mussten in dem riesigen Markt ziemlich viele Sachen suchen, kämpften uns durch spanischsprachige Etiketten und hatten zuletzt sechs große Einkaufswagen voll mit Lebensmitteln. Das Abkassieren und Einpacken dauerte gefühlt Stunden - Gott sei Dank mussten wir den Einkauf nicht selber transportieren, sondern dieser wurde uns kostenfrei ans Schiff geliefert.

Spielen

Solo segeln muss einfach nur langweilig sein. Nach und nach entwickelten wir Spielchen, um das Bordleben noch interessanter zu machen. Etwa, wer den Tages-Speed-Rekord fährt, darf ein Türchen unseres bordeigenen Adventskalenders öffnen.

Oder wir eiferten, um weniger als 2000 verbleibende Seemeilen auf der Uhr in unserer Wache zu sehen. Dietrich ist dabei unser Held: Am 1. Dezember gegen 7:30 Uhr hat Dietrich den Rekord vor Augen. Es sind nur noch 2012 Seemeilen bis St. Lucia, aber seine Wache dauert nur noch eine halbe Stunde! Dietrich setzt sein Know How zum Schummeln ein und stellt die Bordzeit um eine Stunde zurück, da wir schon weit genug nach Westen gesegelt sind. So verlängert er seine Wache um eine Stunde. Mit dem gewünschten Erfolg. Pünktlich um 7:58 Uhr neuer Bordzeit passieren wir mit Dietrich am Ruder den magischen Punkt und lesen auf dem GPS die Restdistanz nach St. Lucia: 1999,5 Seemeilen.

Nach dem Spiel

Nach 15 Tagen und 9 Stunden erreichen wir das Ziel: St. Lucia. Nach 2800 Seemeilen hat das „Lotta“-Leben ein Ende! Leider, denn es war ein toller Törn - ohne große Flaute, wir hatten meist 20 bis 25 Knoten Wind! Wieder an Land, lese ich meine E-Mails mit den vielen Glückwünschen zur erfolgreichen Atlantik-Überquerung. Sven, ein Segelkamerad, der auf Ost- und Nordsee zu Haus ist, schreibt mir zu der Atlantik-Überquerung: „Das ist schwer zu toppen.“ Mir fällt sofort der Fußball-Spruch „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“ ein. Wir wissen alle, dass das Spiel der eigentliche Höhepunkt ist – wenn auch beim Fußball nur für 90 Minuten. Ich hatte einen Höhepunkt von 15 Tagen und 9 Stunden.

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