Ein Ostseesegler besucht Südengland

2010

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Helgoland - Düne Anfang Juni

schlechte Sicht zwischen Den Helder und Harwich

bei Leeuwarden

an der Mooringtonne vor der Tower Bridge

Wrack der SS Richard Montgomery bei Sheerness

Dover Castle

Nelsons Schlachtschiff Victory  in Portmouth

Beachy Head zwischen Brighton und Eastbourne

Marktplatz in Brügge

19-mR-Yacht Mariquita vor Cowes, Vollzeug

optimales Segelwetter im Englischen Kanal

Statistik

Startkanonen in Cowes

Fahrwasser Vortrapptief südlich Hörnum

bei Amsterdam in der Schleuse zum Markenmeer

Trockenfallen in Tönning

 

Die Sommerreise der IMAGINE  2010

Es gibt viele Ostseesegler, die mit ihren Schiffen stets in diesem schönen Seegebiet bleiben. Und wie man im Nord-Ostsee-Kanal zu Beginn und am Ende der Segelsaison sieht, gibt es mehr Nordseesegler, die im Sommer die Ostsee besuchen als umgekehrt. Als in Tidengewässern relativ unerfahrene Segler wählten wir, meine Frau und ich, beide 69, in diesem Jahr den umgekehrten Weg. Zur Vorbereitung sprachen wir mit erfahrenen Nordseeseglern, kauften und liehen uns Seekarten und Handbücher und studierten den „Reeds 2010, the Yachtsman’s Bible“, das hervorragende englische Buch, das alle Häfen, Strömungen und Kommunikationswege übersichtlich für die gesamten Gewässer der Nordsee und rund England beschreibt und einen auf der ganzen Reise täglich begleitet. Da ja auch mit schlechtem Wetter zu rechnen war, wollten wir uns nicht unter Zeitdruck setzen und bestellten Post und Zeitung für zwei Monate ab, bevor wir mit unserer Hanse 341 am 30. Mai 2010 in die Holtenauer Schleusen fuhren.

Strande – London vom 30. Mai bis 12. Juni

Schon in Brunsbüttel erlebten wir eine typische Randbedingung des Nordseesegeln: Hochwasser gab es im Morgengrauen oder abends. Als wir nach einer Übernachtung vor dem Eingang zum Gieselaukanal um 9.40 Uhr bei der Schleuse ankamen, war es bereits zu spät, um noch mit ablaufendem Wasser nach Cuxhaven zu segeln. Also schleusten wir erst um 17 Uhr in die Elbe, waren dann aber bei leichtem Nordwestwind sehr schnell in Cuxhaven. Die erste Lehre: Abfahrtszeit und oft auch die Ankunftszeit bestimmen die Gezeiten, was eine genauere Planung erfordert als in der Ostsee, wo die Freiheit des Fahrtenseglers allein durch das Wetter eingeschränkt wird.

Die zweite Lehre: Man schafft erheblich größere Distanzen und ist schneller am Ziel. Das erfuhren wir auch am nächsten Tag, an dem wir mit ablaufendem Wasser um 06:40 Uhr nach Helgoland ausliefen und bereits 6 Stunden später die 37 sm abgesegelt hatten. Wir erlebten auf Helgoland zwei wunderschöne Tage. Lummen, Basstölpel und Möwen brüteten auf den steilen Felsen der Hauptinsel, und auf der Düne umsorgten die Seehunde und Kegelrobben ihre Jungen. Ganz verinnerlicht hatten wir das Nordseesegeln aber immer noch nicht: Als wir am nächsten Nachmittag bei Hochwasser in Norderney festmachten, legte ich wie ein Ostseesegler das Auge des Achtertampens über den Heckpoller. Der Bug lag am Schwimmsteg. Als wir nach einem Hafenrundgang wieder zum Schiff kamen, zeigte der Achtertampen steil nach oben: keine Chance für ein Ablegen am nächsten Morgen. Also musste ich nachts um 4 Uhr bei Hochwasser aufstehen, nur um das Auge über den Heckpoller zu heben und die Heckleine auf Slip zu legen. Das war die dritte Lehre.

Wir hatten schönes Wetter und nördliche Winde. Wie es im Buche steht, liefen wir bei ablaufendem Wasser aus Norderney aus und bei auflaufendem Wasser wieder in Borkum ein, wo wir uns mit unserer Tochter und ihrem Sohn verabredet hatten und gemeinsam einen schönen Badetag erlebten. Leider ist der Borkumer Hafen in einem miserablen Zustand: obwohl er im großen Seegebiet der Ostfriesischen Inseln der einzige ist, der bei jedem Wetter und jedem Wasserstand mit tiefergehenden Schiffen angelaufen werden kann, liegt man an alten Bundesmarinepontons unruhig und die Versorgung ist mangelhaft. Ein alter, ungepflegter Privathafen neben dem Burkana-Hafen ist ziemlich versandet. Also ab nach Holland, wo den Sportbootfahrern ein ganz anderer Stellenwert eingeräumt wird. Westwind und Regen war nun angesagt, so dass wir uns entschlossen, in Lauwersoog einzuschleusen und durch die Kanäle quer durch Friesland bis Harlingen zu fahren. Der Besuch der beschaulichen Städtchen Dokkum und Leeuwarden war sehr lohnend. In Harlingen ging es wieder in die Waddenzee und mit dem Tidenstrom durch die betonnten Priele bis Den Helder. Wir waren nun eine Woche unterwegs, hatten ein wenig Nordseeerfahrung gewonnen und waren dem ersten Ziel unserer Reise, London, schon ein Stückchen näher gekommen. So entschlossen wir uns, zu einem größeren Sprung anzusetzen.

Ein Tief über Südengland bescherte uns zwar Regen, aber auch einen schönen Nordost. Bei ablaufendem Wasser liefen wir morgens in Den Helder mit dem Ziel Lowestoft aus (118 sm), waren dann aber so schnell, dass wir dort noch bei Dunkelheit angekommen wären. Also änderten wir den Kurs auf Harwich (147 sm). Bei zeitweise NO 6 und sehr schlechter Sicht erreichten wir unseren Waypoint um 4 Uhr früh und lagen um 8 Uhr hinter der Schleuse das Yachthafens Shotley bei Harwich fest. Wir hätten bei dieser Fahrt gern ein Radar oder AIS gehabt. Etwas unheimlich ist es, die Nebelhörner von oft unsichtbaren Schiffen zu hören. Aber der Kurs führt nördlich des viel stärker befahrenen Verkehrstrennungsgebietes vor Rotterdam vorbei und dank eines erneuerten Autopiloten (Raymarine SPX-5 mit Gyrosensor), der auch bei zunehmenden Seegang das Schiff gut auf Kurs hielt, lief alles gut ab.

In der breiten Themsemündung mit den unzähligen Sandbänken gibt es nicht viele Möglichkeiten eines Stops vor London. Die Tide zwang uns zum Auslaufen früh um 5, was bedeutete, dass wir bei Nord 4 schon um 10 Uhr querab der eingeplanten Übernachtungsstation an den Mooringtonnen von Queenborough in der südlichen Themsemündung waren. Wir hatten den Kurs östlich des Gunfleet Sand in den King’s Channel und durch Barrow Deep gewählt, wobei das Log bis zu 9 Knoten anzeigte. Also segelten wir weiter, denn die letzte Schleusung zum Stadthafen von London, St Katherine Haven an der Tower Bridge, sollte um 16 Uhr sein. Bei Hochwasser erreichten wir das Themsesperrwerk. Dann setzte mit Macht der Gegenstrom ein. Mit unserem schwachen Motor (19 PS) erreichten wir erst um 16.10 Uhr St. Katherine. Hinter dem gerade geschlossenen Schleusentor sahen wir noch Segelmasten. Für einen weiteren Schleusengang war es zu spät, denn nun wurde es zu flach vor dem Tor. Da hier nachts nicht geschleust wird, mussten wir 22 Stunden an einer Mooringtonne mit starker, wechselnder Strömung verbringen. Trösten konnte uns nur das gute Wetter und der großartige Blick auf die Tower Bridge. Abwechslung brachten noch zwei Besuche der Wasserschutzpolizei, die sehr freundlich die Schiffspapiere kontrollierte.

London – Cowes vom 13. Juni bis 23. Juni

Nach der Schleusung am nächsten Tag um 14 Uhr erhielten wir einen ausgesucht guten Liegeplatz zugewiesen und konnten endlich einen Fuß an Land setzen. Der hervorragende Yachthafen im Herzen dieser alten Weltstatt lädt zum Verweilen ein. Bei meist gutem Wetter besuchten wir Schloss und Sternwarte in Greenwich mit dem Ausflugsboot, das Riesenrad London Eye, Westmister Abbey, St Paul’s Cathedral, Harrods, die Tate Modern Gallery, das Tower Castle und viele Plätze, Parks, Pups und Cafés. Nach drei Tagen taten uns die Füße weh, und wir freuten uns wieder aufs Segeln.  Wegen des späten Hochwassers konnten wir erst um 16 Uhr in die Themse schleusen und motorten und segelten bei NE 5-6 stromabwärts und machten mit dem letzten Tageslicht an einer der Mooringtonnen von Queenborough bei Scheerness fest. Bei dieser Windrichtung blieb es nicht aus, dass wir in den Schleifen der kaum befahrenen Themse auch einmal das Fahrwasser kreuzten, um nicht genau gegen Wind und steile Welle motoren zu müssen. Nur 10 Minuten später, während wir wieder ganz regelrecht auf der äußersten rechten Seite des Flussbetts fuhren, rauschte von hinten ein Polizeiboot heran, und ermahnte uns laut und energisch: „You have to stick always to the starboard side!“

Unser nächstes Ziel waren nun Südengland und die Isle of Wight. Es herrschte NE 5-6, was bedeutete, dass auf dem Weg über die Flachs nach Ramsgate eine steile See gegen den mitlaufenden Strom stehen würde. Also verbrachten wir eine zweite Nacht in Queenborough an der Tonne und starteten tags darauf früh nach dem Morgenhochwasser bei NE 4. Gleich nach der Ausfahrt aus der geschützten Bucht passierten wir vor Sheerness das Wrack der „Richard Montgomery“, deren Mastspitzen noch aus dem Wasser ragen. Sie war ein Liberty-Schiff, das 1944 Waffen und Munition von den Vereinigten Staaten nach England transportierte, und dort vollbeladen mit ihrer gefährlichen Fracht strandete. Bei einem Blick auf die Seekarte der Themsemündung muss man unwillkürlich die alten Seefahrer bewundern, die Jahrhunderte lang ohne die jetzige gute Betonnung und ohne GPS den Weg durch die Sände nach London fanden. Wir segelten bei guter Sicht und immer noch kabbeliger See hoch am Wind mit dem Strom durch den Princess Channel bevor wir nach Süden zu den Kreidefelsen abfallen konnten. Um 12:30 Uhr erhielten wir die Erlaubnis in Ramsgate Harbour einzulaufen. Täglich mehr machte sich auch auf dieser Fahrt bemerkbar, dass unsere Bordbatterie erschöpft war und dringend ausgewechselt werden musste. Immerhin erlebte sie den achten Segelsommer. Da wir in Ramsgate kein passendes Modell fanden, segelten wir gleich am nächsten Morgen bei NW 6 weiter durch den Ramsgate Channel nach Dover. Nach kurzem Warten erhielten wir die Erlaubnis, die stark frequentierte Osteinfahrt des Vorhafens zu benutzen. Während der ganzen Fahrt leuchteten die Kreideklippen unter schweren Regenwolken in dem wechselhaftem Licht der Morgensonne. Drei Wochen waren wir nun unterwegs. Wir gönnten uns einen Ruhetag, wechselten die Bordbatterie und besichtigten das Dover Castle. Große und schreckliche europäische Geschichte ist hier überall gegenwärtig, insbesondere wenn man die unterirdischen Gänge, Krankenlager und Kommandoräume unter der alten Burg besichtigt, von denen im Mai 1940 die Evakuierung der alliierten Truppen aus dem umkämpften Dünkirchen geleitet wurde.

Von Dover ging es bei mäßigem NW-Wind nach Eastbourne an der Südküste weiter. War das Wasser in Nordsee und Themsemündung noch braun, wurde es nun im Englischen Kanal wieder blau, und es wurde auch merklich wärmer. Nach einem langen sonnigen Segeltag machten wir in dem alten Kriegshafen Portsmouth fest und besichtigten unter anderem das Segelkriegsschiff „Victory“, auf dem Lord Nelson 1805 die Seeschlacht am Kap Trafalgar gewonnen hat und Napoleons Flotte so vernichtend geschlagen hat, dass die britische Seeherrschaft für 150 Jahre gesichert war. Wie es sich für einen richtigen Helden gehört, starb er am Ende der Schlacht. In unserem nächsten Hafen, Cowes auf der Isle of Wight, wurde die britische Geschichte erneut lebendig im schön gelegenen Osborne House, das wir mit unseren Bordfahrrädern aufsuchten: Queen Victoria starb dort in ihrer Sommerresidenz 1901. Wir erlebten die alte Segelstadt Cowes bei schönstem Sommerwetter und erstanden einige Souvenirs.

Cowes — Strande vom 24. Juni bis 29. Juli

Am 26. Reisetag lud uns ein warmer Westwind zur Rückkehr ein. Die Gezeiten des englischen Kanals und der Nordsee und das häufige Schleusen war uns inzwischen zur Routine geworden, und wir freuten uns über das Geschenk des mitlaufenden Stroms, der auch bei leichten Winden größere Etmale erlaubt. Über Brighton und Eastbourne segelten wir ostwärts bis Boulogne sur Mer. Nach den teuren englischen Privathäfen, dem Jahrmarkttreiben auf der Seebrücke und dem kitschigen Royal Pavillon des Prinzregenten George in Brighton fühlten wir uns an der französischen Küste in eine andere Welt versetzt. Wir fanden schöne Cafés, eine alte Stadtmauer, gut gekleidete Frauen, einen hervorragenden Fischmarkt, einen hoher Tidenhub und einen einladenden Sandstrand. Für den weiteren Weg zurück nach Kiel ließen wir uns nun viel Zeit. Das Wetter war durchweg wunderbar und die paar Starkwindtage und Gewitterstürme verbracht wir in Häfen.  Über Dünkirchen segelten wir zum belgischen Seebad Blankenberge, von wo man mit dem Zug in 11 Minuten in die wunderschöne alte Handelsstadt Brügge fahren kann: Grachten, schöne Plätze mit gut gepflegten alten Giebelhäusern und mittelalterliches Flair umgaben uns einen ganzen Tag lang.

Dann durchfuhren wir von Vlissingen aus die holländische Provinz Zeeland, wo es in der Wester- und Osterschelde ein wunderschönes und viel befahrenes Segelrevier gibt. Wir besuchten dort die alten Hafen- und Handelsstädte Middelburg, Goes und Zierikzee. Dann schleusten wir in Roompotsluis wieder hinaus auf die Nordsee und segelten an Hoek van Holland vorbei bis Scheweningen und nach IJmuiden. Dabei erlebten wir verschiedentlich die Spiele der Fußballweltmeisterschaft auf öffentlichen Plätzen mit (in Vlissingen: Holland schlägt Brasilien 2:1, endloses orangenes Gejohle - in Zierikzee: Holland schlägt Uruguay 3:2 – in IJmuiden: Spanien schlägt Deutschland 1:0).  Durch den Noordzeekanaal gelangten wir nach Amsterdam, wo wir uns drei Tage lang in die endlosen Reihen von Radfahren einreihten. Grachten, Märkte, Musik, Museen und Straßen- und Gartenlokale voller junger Leute nahmen uns gefangen. Der Segelhafen, Sixhaven, liegt sehr zentral gegenüber dem Hauptbahnhof, alle 6 Min. fährt die Fähre, umsonst.

Bei der Sommerhitze waren tausend Boote unterwegs ins Markenmeer. Wir übernachteten in den hübschen Hafenstädtchen Marken und Hoorn, wo wir erlebten, wie im Endspiel Spanien die Niederlande 1:0 in der Verlängerung schlug. Die orangen Uwe-Seeler-Tröten wurden zertreten. Die Spiele der deutschen Mannschaft fanden wenig Beachtung. Über Enkhuizen und Medemblik segelten wir dann über das IJsselmeer und Kornwerderzand wieder in die Nordsee, wo wir rechtzeitig vor einigen Sturmtagen auf der Insel Vlieland festmachten. Mit jeweils mehreren geruhsamen Bade- und Radfahrtagen auf den deutschen Nordseeinseln Borkum, Helgoland und Sylt (Hörnum) schlossen wir unseren Nordseebesuch ab und fuhren über die Eider (mit Übernachtungen in Tönning und Delve) und den Nord-Ostsee-Kanal zurück nach Strande, wo wir nach exakt zwei Monaten am 29. Juli wieder festmachten.

Insgesamt möchte ich sagen, dass man sich an das Tidensegeln durchaus gewöhnen kann. Zwar muss man genauer planen als in der Ostsee, auslaufen teils bei Morgengrauen oder erst nachmittags, gelegentliches Trockenfallen des Schiffes und viel schleusen inbegriffen. Aber in der Regel segelt man mit dem Strom, entweder parallel zur Küste oder auslaufend bei Ebbstrom und einlaufend mit dem Flutstrom. Also schafft man viel größerer Distanzen als in der Ostsee. Boot und Mannschaft haben alles gut überstanden, und ich hoffe, mit diesem Bericht auch andere Ostseesegler dazu anzuregen, einmal ihr Fahrtgebiet zu erweitern, vor allem, weil die technische Entwicklung einen solchen Törn auch für kleine Crews gut durchführbar macht. Insbesondere hat sich unterwegs das gerade erworbene Smartphone (iPhone) bewährt. Es ersetzt Laptop, Photoapparat, (sekundäre) Navigationsprogramme zu Wasser und zu Lande, einen Wetterkartenempfänger, Stadtführer für London und Amsterdam, Lesebuch bei Dunkelheit, Spielekonsole, Musikplayer, nebenbei noch das Telefon und vieles andere. Einen freien Internetzugang haben wir in jedem der besuchten Häfen gefunden und ohne Roamingkosten nur über diesen Weg mit unseren Kindern kommuniziert.

 
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